- Staatenwelt der Zwischenkriegszeit: Ost- und Südosteuropa
- Staatenwelt der Zwischenkriegszeit: Ost- und SüdosteuropaDie nach der Niederlage und dem Auseinanderbrechen der drei Kaiserreiche Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland im Ersten Weltkrieg entstandenen, in den Pariser Vorortverträgen garantierten neuen Staaten in Ost- und Südosteuropa sahen sich mit gewaltigen Aufgaben konfrontiert. Der Aufbau und die Absicherung der Eigenstaatlichkeit warf gewaltige politische, soziale und ökonomische Probleme auf, denen die Verantwortlichen meist nicht gerecht wurden.Allen Ländern blieben schwere innenpolitische Turbulenzen nicht erspart. Die Übernahme der parlamentarisch-demokratischen Ordnung und der Aufbau eines funktionierenden Verwaltungssystems erwiesen sich wegen der Traditionslosigkeit, der fehlenden Erfahrungen und einer Vielzahl von konkurrierenden Parteien als schwierig. Die Unterdrückung der Kommunisten wurde vom Aufstieg faschistischer Bewegungen begleitet. Soziale Unruhe breitete sich nicht nur in der Arbeiterschaft, sondern auch unter der mehrheitlich kleinbäuerlichen Bevölkerung aus, deren Bedarf an Ackerland durch die halbherzige Enteignung und Umverteilung des Großgrundbesitzes nicht gestillt werden konnte. Kapitalmangel, Inflation, die schwierige Erschließung neuer Absatzmärkte, Autarkiebestrebungen und hohe Schutzzölle beeinträchtigten das Wirtschaftswachstum und den Außenhandel.Obschon der Völkerbund die Rechte der starken nationalen Minderheiten garantiert hatte, kam es immer wieder zur politischen, ökonomischen, sprachlichen und religiösen Diskriminierung der nicht dem Staatsvolk angehörenden Bürger; antisemitische Strömungen waren weit verbreitet. Allein die Tschechoslowakei konnte viele Schwierigkeiten zufriedenstellend bewältigen.Außenpolitisch sorgten alte Rivalitäten, territoriale Streitfragen und die Forderung nach Revision der 1919/20 gezogenen Grenzen für Spannungen. Frankreich versuchte nicht nur durch die Errichtung eines »Cordon sanitaire« sein Sicherheitsbedürfnis gegen die bolschewistische Sowjetunion zu befriedigen, sondern zeigte sich bemüht, im Rahmen bilateraler Vertragsbeziehungen zur Konsolidierung und Stabilität des neuen Staatengürtels beizutragen. Die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien verbanden sich nach 1921 gegen Ungarn in der Kleinen Entente. Allen Initiativen jedoch, unter Einbeziehung der Großmächte Deutsches Reich und UdSSR den Frieden in der Region zusätzlich abzusichern, war kein Erfolg beschieden.Angesichts der durch Parteienstreit, Regierungskrisen, Korruption und Ineffizienz vertieften vielfältigen Probleme wuchs früh die Bereitschaft, unter Verletzung der Verfassungsnormen autoritäre oder offen diktatorische Regime hinzunehmen, die durch Wahlmanipulationen und die Verfolgung der politischen Gegner zum Niedergang der politischen Kultur beitrugen. Diese Entwicklungen ließen die Länder Ost- und Südosteuropas zu einer Schwachstelle der nach dem Ersten Weltkrieg gefundenen Friedensordnung werden.
Universal-Lexikon. 2012.